
Ferdinand Blumenthal
Foto: Ferdinand Blumenthal 1927, Copyright Smithsonian Institution Archives, Washington D.C./USA
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Ferdinand Blumenthal (Berlin 1870–1941 westlich Narvas/Estland) wurde nach dem Medizinstudium und der Promotion Assistenzarzt in der I. Medizinischen Universitätsklinik Berlin. Neben der klinischen Ausbildung zum Internisten bearbeitete er Fragestellungen der physiologischen Chemie. Im November 1899 habilitierte er an der Berliner Friedrich-Wilhelms Universität und erhielt 1905 eine außerordentliche Professur.
Frühzeitig wurde er von Ernst von Leyden in die Planung und Realisierung einer 'Krankenabteilung für Krebsforschung' (seit 1907‚ Universitätsinstitut für Krebsforschung an der Charité) eingebunden. Die 1903 als erste ihrer Art in Deutschland gegründete Forschungs- und Behandlungsstätte für Krebserkrankungen wurde zum Zentrum der Tätigkeit Blumenthals. Wissenschaftlich widmete er sich Untersuchungen über die Entstehung und den Stoffwechsel von Tumoren sowie deren Bekämpfung. Mit hohem persönlichem Einsatz sorgte er für den Erhalt des Institutes während des Ersten Weltkrieges und in den Nachkriegsjahren. Seit 1917 leitete er das Institut gemeinsam mit dem Pathologen Johannes Orth, ab 1923 war er dessen alleiniger Direktor. Immer wieder war Blumenthal mit Finanzierungsproblemen konfrontiert, die er mit Spendengeldern und mit Hilfe privater Unterstützer lösen konnte. Eine Etatisierung des Krebsinstitutes durch die preußische Administration erfolgte erst 1929.
Blumenthal gab dem Institut eine für die damalige Zeit fortschrittliche Struktur: Er etablierte eine Radium- und Röntgenabteilung (Ludwig Halberstaedter, Albert Simons), Abteilungen für Histologie und Hämatologie (Hans Hirschfeld) sowie für Virusforschung (Ernst M. Fränkel), außerdem ein chemisches Labor (Arthur Lasnitzki, Otto Rosenthal). Mit Rhoda Erdmanns Abteilung für Zell- und Gewebezüchtung bestand eine Kooperation. 1929 übernahm Esther Eugenie Klee-Rawidowicz eine eigene Abteilung für experimentelle Krebsforschung (s. deren Biographie). Das Institut hatte national und international eine Vorbildfunktion, zumal neben der Forschungstätigkeit eine zentralisierte Behandlung und Betreuung der Patienten einschließlich einer Poliklinik möglich waren. Blumenthal vertrat das Konzept eines Tumorzentrums (‚centre anticancéreux’), plädierte für interdisziplinäre Konferenzen und Entscheidungen und vertrat eine multimodale Tumorbehandlung. Er antizipierte damit heutige Strukturen und Vorgehensweisen in der Krebsbekämpfung. Seine Vorstellungen blieben nicht ohne Widerspruch: So beanspruchten z. B. Walter Stoeckel und Ferdinand Sauerbruch eine eigenständige fachbezogene Krebsbehandlung innerhalb ihrer Kliniken für Gynäkologie und Chirurgie.
Seit 1919 engagierte sich Blumenthal als Generalsekretär im ‚Deutschen Zentralkomitee zur Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit’, zudem redigierte er die renommierte Zeitschrift für Krebsforschung. Die nachgehende Krebsfürsorge durch speziell ausgebildete Fürsorgerinnen unter Einbeziehung der häuslichen und sozialen Verhältnisse der Patienten war ihm ein wesentliches Anliegen. In der breiten laienverständlichen Aufklärung über die Krebserkrankungen mit dem Ziel der Krebs-Früherkennung sah er eine weitere Aufgabe.
Die damaligen Erkenntnisse der Krebsforschung und seine Vorstellungen zur Bekämpfung der Tumorerkrankungen publizierte Blumenthal 1934, bereits im Exil, in seinem Buch "Ergebnisse der experimentellen Krebsforschung und Krebstherapie".
Ferdinand Blumenthal stammte aus einer angesehenen Berliner jüdischen Familie. Seine Emigration wurde zu einer Odyssee. Im Frühsommer 1933 verließ er gemeinsam mit seiner Familie Berlin und hielt sich zunächst in der Schweiz auf. Im September 1933 wurde er durch den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in den Ruhestand versetzt. Vom Oktober 1933 bis zum Dezember 1936 konnte er an der Belgrader Medizinischen Fakultät eine Gastprofessur wahrnehmen, besuchte während dieser Zeit Kongresse und hielt in zahlreichen Städten Europas Vorträge. 1937 übersiedelte er nach Wien, dort wurde er im März 1938 von der Gestapo für drei Monate inhaftiert. Nach der Freilassung kehrte er nach Jugoslawien zurück. Versuche, nach England zu emigrieren, scheiterten. Im Januar 1939 folgte er einer Einladung nach Tirana/Albanien, das er jedoch kurze Zeit später wegen der drohenden Invasion durch Italien verlassen musste. Im März 1939 fand er Zuflucht in Estland (Tallin). Dort erlebte er 1940 die Besetzung des Landes durch die Sowjetunion. Als die Wehrmacht im Juni 1941 in Estland einmarschierte, wurden Blumenthal, seine Ehefrau Elly und ihre beiden Töchter Zerline (geb. 1908) und Hilde (geb. 1911) von den sowjetischen Behörden einem Transport aus Tallin nach Kasachstan zugeteilt. Einen deutschen Luftangriff auf den Evakuierungszug am 5. Juli 1941 westlich Narvas überlebte Ferdinand Blumenthal nicht. Seine Frau und die beiden Töchter sind seither verschollen.
Die Tochter Herma Blumenthal (1914–1996) konnte im Juli 1938 in die USA emigrieren. Sein Bruder, der Dermatologe Franz Blumenthal (s. Biographie), verließ Deutschland 1934. Blumenthals Schwester, Katharina Buss-Blumenthal (geb. 1872) wurde im August 1942 in Auschwitz ermordet. Ein weiterer Bruder, der Berliner Jurist Hans Blumenthal (geb. 1874), wurde im November 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er elf Tage nach der Ankunft im Ghetto starb.
(Text: Harro Jenss, 2015)