
Hans Hirschfeld
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Hans Hirschfeld entstammte einer Berliner Kaufmannsfamilie und wurde am 20. März 1873 in Berlin geboren. Nach Beendigung seines Studiums der Medizin an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität arbeitete er 1897 am Moabiter Krankenhaus in der Abteilung von Prof. Alfred Goldscheider. Sein frühes Interesse an Fragen der Bluterkrankungen führte ihn bald in die Berliner Hämatologische Gesellschaft, die 1908 auf Bestreben von Artur Pappenheim (1870 -1916) mit ihm gegründet wurde. Artur Pappenheim und Hans Hirschfeld waren lebenslang befreundet. Mit ihm teilte er das wissenschaftliche Interesse, Blutzellen differenziert anzufärben. Seine enge Verbindung zum Krankenhaus Moabit blieb auch nach seiner Niederlassung in der Nähe des Krankenhauses erhalten. Als 1910 dem damaligen Leiter der Inneren Abteilung in Moabit, Prof. Georg Klemperer, die Leitung des sehr fortschrittlichen Krebsinstituts der Charité nebenamtlich angetragen wurde, übertrug er Hans Hirschfeld die Leitung des Labors und später die ambulante Patientenbetreuung. Hier setzte sich die fruchtbare Zusammenarbeit mit Artur Pappenheim intensiver fort. Nach dessen frühem Tod führte Hirschfeld die begonnenen Arbeiten im Sinne seines Freundes weiter.
Hans Hirschfeld war mit Rosa, geborene Todtmann, verheiratet. Beide waren jüdischen Glaubens und hatten miteinander zwei Töchter, Inge 1904 und Käthe 1906 geboren. Sie wohnten in unmittelbarer Nähe zum Krankenhaus Moabit, Alt-Moabit 110, wo auch die Praxis und die umfangreiche medizinische Bibliothek von Hans Hirschfeld untergebracht waren. Die Familie ließ sich zusammen mit Rosas Schwester Else 1908 in der damaligen Dankes-Kirche Berlin evangelisch taufen.
Die folgenden Jahre waren für Hans Hirschfeld voller Schaffenskraft, Forscherdrang und Organisation innerhalb des Krebsinstituts der Charité. Das Berliner Krebsinstitut wurde nach dem ersten Weltkrieg von Professor Ferdinand Blumenthal geleitet, der das Institut erneut zu internationaler Anerkennung und Bedeutung führte. 1922 wurde Hans Hirschfeld zum Professor ernannt und erhielt wenig später eine eigene Abteilung am Krebsinstitut, die schnell zum Anziehungspunkt vieler Gastärzte und Doktoranden wurde. Außerdem übernahm der immer sehr bescheiden auftretende Hirschfeld - aufbauend auf die Grundlagenforschung in der Hämatologie von Virchow, Ehrlich und Pappenheim - histologische und hämatologische Forschungsarbeiten. In der folgenden Zeit entstand die Mehrzahl seiner etwa 160 wissenschaftlichen Publikationen, die weltweite Anerkennung fanden. Darunter wurden viele in der Deutschen Medizinischen Wochenzeitschrift von 1902 bis 1933 veröffentlicht. Die Schwerpunktthemen beinhalteten die Differenzierung der Leukämien, die Funktion der Milz und viele labordiagnostische Methoden. Zu dieser Zeit befand er sich auf dem Zenit seiner beruflichen Karriere. Als Herausgeber mehrerer hämatologischer Fachzeitschriften und –bücher, darunter auch des vierbändigen „Handbuches der allgemeinen Hämatologie“, das er zusammen mit Anton Hittmair aus Österreich ab 1932 herausbrachte, genoss er hohes internationales Ansehen.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde am 7. April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von der Reichsregierung verabschiedet. Daraufhin wurde Hirschfeld zusammen mit 277 Ärzten der Charité aus seinen Stellungen verdrängt und am Betreten des Arbeitsplatzes gehindert. In dieser Zeit kümmerte sich Hans Hirschfeld noch um seinen Cousin Dr. Georg Eppenstein, einen Chemiker und Geschäftsführer der Ruilos GmbH, der im Juni bei den sogenannten Köpenicker Blutwochen von SA-Schlägern so brutal gefoltert wurde, dass er im August an der Charité verstarb. Am 11. September 1933 folgte für Hans Hirschfeld die Entlassung aus der Universität und der Entzug der Lehrbefugnis. Die Planung einer Emigration verfolgte er zunächst sehr halbherzig, weil er die Regierung der Nationalsozialisten als nur vorübergehend ansah. Erst nach November 1938 schrieb er von „Sodom und Gomorra“ und bemühte er sich ernsthaft mit seiner Frau auszuwandern, allerdings blieb das Vorhaben erfolglos. Er konzentrierte sich nun zunächst auf die Herausgeberschaft der Folia Haematologica, die inzwischen internationalen Charakter besaß. Im Mai1937 wurde in Bad Pyrmont die Deutsche Hämatologische Gesellschaft gegründet und eine Internationale Hämatologentagung abgehalten – der inzwischen dienstälteste und international bekannteste deutsche Hämatologe Hans Hirschfeld war als Jude unerwünscht und wurde weder eingeladen, noch wurde nach ihm oder anderen jüdischen Kollegen öffentlich gefragt. Im folgenden Jahr wurde er gezwungen, die Herausgeberschaft „seiner“ Folia Haematologica aufzugeben. Sein – natürlich arischer - Nachfolger Prof. Viktor Schilling aus Rostock informierte die Leserschaft über die Hintergründe nicht. Hirschfeld wurde im September 1938 die Bestallung (entspricht der heutigen Approbation) entzogen, sodass es für ihn, der verheiratet war und zwei Töchter in der Ausbildung zu versorgen hatte, unmöglich wurde, eine ärztliche Kassenleistung zu erbringen und abzurechnen. Als sogenannter „jüdischer Behandler“ konnte er in der Folgezeit noch Juden ärztlich versorgen und das chemisch-serologisch-bakteriologische Labor des Jüdischen Krankenhauses in Berlin leiten. Das Vermögen der Familie Hirschfeld musste im Februar 1940 aufgestellt werden und wurde zugunsten des Reichs entzogen.
Am 30. Oktober 1942 wurde das Ehepaar Hirschfeld nach Theresienstadt deportiert. Aber selbst unter den unmenschlichen Umständen im Ghetto Theresienstadt verlor Hans Hirschfeld nicht seine Verbundenheit und Zuneigung zur Hämatologie. Er nahm eine konsiliarische Tätigkeit im chemisch-medizinischen Zentrallabor im Ghetto Theresienstadt an und bereicherte mit mehreren Vorträgen zu Themen der Blutbildung und Gerinnung den ärztlichen Fortbildungskurs, der für die zur Tatenlosigkeit verurteilten Ärzte von selbigen eigens organisiert wurde. Hans Hirschfeld starb am 26. August 1944 und wurde zwei Tage später im Krematorium in Theresienstadt verbrannt.
Nach dem zweiten Weltkrieg verblasste die Erinnerung an Hans Hirschfeld unter den deutschen Hämatologen sehr rasch. Während ausländische Autoren ihn weiterhin zitierten, verschwiegen ihn die Hämatologen in beiden Teilen Deutschlands, die dort nach wie vor in Amt und Würden waren. In der zweiten Auflage des „Handbuchs der Allgemeinen Hämatologie“ 1957, Herausgeber war weiterhin Anton Hittmair und nun zusätzlich Ludwig Heilmeyer, der unter Hirschfelds Ägide in der ersten Ausgabe vier Beiträge schrieb, fand der Name Hans Hirschfeld keine Erwähnung. Schließlich verfasste Hittmair einen kurzen Nachruf in der Amerikanischen Fachzeitschrift Blood in englischer Sprache, in dem allerdings das Todesjahr mit 1945 und der Ort mit Auschwitz angegeben wurden. 1974 veröffentlichte der Thieme-Verlag eine „Einführung in die Geschichte der Hämatologie“. Hier wurde im Abschnitt „Biographische Notizen“, pikanterweise von Ingeborg Heilmeyer verfasst, vermeldet, Hirschfeld sei 1929 in Berlin verstorben und ein Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus damit völlig ignoriert. Auf der Titelseite „seiner“ hämatologischen Fachzeitschrift, der Folia Haematologica, deren Herausgeber Professor Viktor Schilling nun in Rostock tätig war, tauchte sein Name nie wieder auf.
(© Text: Dr. Thomas Benter, ehemaliger Mitarbeiter der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie der Charité)